Schnallt euch an, das wird länger! Ein Beitrag über soziale Netzwerke, die nicht deswegen so toxisch und spaltend sind, weil es Filterblasen gibt und Social Media uns Böse macht, sondern weil wir böse sind und das durch die Algorithmen verstärkt wird.
(Dies ist die Artikelversion meines Twitterthreads zu dem Thema.)
Das klingt jetzt erst einmal nach einer sehr platten Zusammenfassung, aber ist die Quintessenz unserer aktuellen Folge Breitband für die ich mich (zusammen mit Vera Linß) auf einen sozialwissenschaftlichen Deep Dive begeben habe.
Erste Station: Das (soziale) Internet hat sich von der Utopie des globalen Dorfes in einen weltweiten Grabenkrieg verwandelt. Warum? Weil sich die Mär von der Filterblase ins Gegenteil verkehrt hat.
Das ist zumindest meine Zusammenfassung der Arbeit von Petter Törnberg. Er weist in einem aktuellen Paper nach, das Social Media uns eben nicht mit Gleichgesinnten zusammenbringt, sondern vor allem auf die Menschen treffen lässt, die uns konträr gegenüber stehen.
Verbunden damit, dass Törnberg die Plattformen im Kern nicht als Ort der Debatte, sondern als Bühne zur Selbstdarstellung sieht, die vor allem emotional bespielt und nicht rational betreten wird, ist klar wo die Reise hingeht: Ins „Othering“. Heisst: Wir treffen „online“ nicht auf Menschen mit all ihren Komplexitäten, sondern Gruppenzugehörigkeiten und aufgrund der Algorithmen: Vor allem Feinde.
Aber halt! Das ist noch nicht alles, es wird noch schlimmer! Laut Michael Bang Petersen & Team diskutieren nämlich (laut einem Paper aus dem letzten Jahr) vor allem solche Menschen politisch online, die eher zu aggressiven Diskussionsverhalten neigen.
Einerseits gibt es keine „Feindseligkeits-Lücke“ in Social Media. Dh: Wer online feindselig agiert, ist das auch offline, er wird nicht auf magische Weise von sozialen Medien in einen Troll verwandelt. Zum anderen zeigt sich: Wer zu friedlicherem Verhalten neigt, diskutiert sowie ungern Politik. Und falls doch, dann eher off- als online.
Heisst also: Online sind vor allem die aggressiven, feindseligen Diskutanten; welche durch die Algorithmen (s.o.) noch eine viel größere Reichweite erhalten, als Ihnen gesellschaftlich gesehen eigentlich zusteht. Und damit sind wir – aus zwei Perspektiven gesehen – wieder am Anfang.
Machen soziale Medien feindselig? Nein. Haben sie aber einen maßgeblichen Anteil an der Spaltung der Gesellschaft? Auf jeden Fall! (Petter Törnberg benutzt dafür den schönen Begriff „affektive Polarisierung“.)
Was können wir dagegen tun? Die Vorschläge sind nicht neu: Regulierung, Transparenz der Algorithmen, gesellschaftliche Verantwortung der Plattformen. Und auch wenn das vielleicht auf den ersten Blick wie eine Platitüde wirken mag: Törnberg erinnert bei dieser Gelegenheit daran, dass die Netzwerk so sind, wie sie sind, weil sie aufgrund eine ökonomischen Notwendigkeit in einem kapitalistischen System agieren.
Das heisst, das die Grundlagen für unsere Probleme systemisch sind und nicht nur in den Netzwerken geklärt werden können. Oder wie Michael Bang Petersen diplomatischer sagte: Die Politik muss die Offline-Frustrationen klären, damit es online friedlicher werden kann.
Aber das ist wie gesagt nur die kurze Zusammenfassung, die ausführliche Version bekommt ihr in der aktuellen Folge Breitband.
„Mein“ Teil beginnt bei 22:22, ich empfehle aber auch sehr den ersten von Vera Linß, in dem es um die Qualität der Berichterstattung im Ukraine-Krieg geht. Mit dabei: Karl Marx und die Erkenntnis warum das Feuilleton für die Reflektion des politischen Journalismus wichtig ist.
Falls ihr danach inhaltlich noch weiter in die Tiefe gehen wollt, gibt es hier den passenden Thread von Petter Tönrnberg und hier den von Michael Bang Petersen.
Last but not least: Auch unsere Arbeit ist abhängig von eurem Feedback: Wir freuen uns auf direktes Feedback auf Twitter @breitband oder an breitband[a}deutschlandradio.de oder natürlich auf eine Bewertung auf der Podcastplattform eurer Wahl!
Beitragsbild: midjourney.com-Prompt „social media is a global trench war –ar 16:9 –v 3“