Ich habe mich lange mit ausführlichen Äußerungen zu #GamerGate zurückgehalten. Ich habe die Diskussionen mitverfolgt, ich habe viel dazu gelesen, aber das extreme Ausmaß von Trollen, Haß, Drohungen und Giftigkeit wollte ich mir nicht antun.
Bis der Auftrag vom Deutschlandradio kam, mal einen Überblick über die aktuelle Situation zu geben. Das Audio und den Artikel wird zwar online beim Deutschlandradio dokumentiert, aber ich möchte an dieser Stelle den eigentlichen geplanten Beitragstext veröffentlichen, weil durch ein Missverständnis in der Livesituation der letzte Teil weggefallen ist.
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Computerspiele sind den Kinderschuhen entwachsen: Früher Unterhaltung für eine kleine eng abgegrenzte Gruppe, sind sie heute in allen Bereichen der Gesellschaft zu finden. Immer mehr Menschen spielen, vor allem dank der Verbreitung von Smartphones und auch in Feuilleton und Kulturkritik sind Computerspiele immer mehr Thema.
Damit halten auch neue Debatten Einzug in die früher abgeschotteten Computerspielewelten, bekanntestes Beispiel aus den letzten Monaten ist die Forderung nach mehr Gleichberechtigung und Vielfalt – sowohl in Geschichten, die Spiele erzählen, als auch in der Spieleindustrie.
Doch wer Computerspiele derart kritisiert lebt gefährlich: In sozialen Netzwerken, Foren und Chatkanälen werden prominente Computerspielekritikerinnen bedroht. Die Bedrohungen laufen unter dem Label „GamerGate“, unser Kollege Marcus Richter hat sich damit auseinandergesetzt. Marcus, wie ernst sind diese Drohungen?
Bis jetzt ist körperlich noch niemand zu schaden gekommen, aber diese Todes- und Vergewaltigungs-Drohungen finden wie gesagt tausendfach seit zwei Monaten ununterbrochen statt, verbunden mit der Veröffentlichung persönlicher Details der Opfer. Die Auswirkungen sind durchaus real und setzen durch die schiere Masse die Bedrohten sehr unter Druck. Zum Beispiel die Spieleentwicklerin Brianna Wu, die in ihrem Podcast davon erzählt, wie sie die Drohungen erlebt hat.
„*schluchzt* It was so hard this week, because I was so afraid for my life. It’s a full on war on me right now and through all that I do that we had to stop these people.“
Brianna Wu hatte Angst um ihr Leben, es kommt ihr wie im Krieg vor, auch ihr war per Twitter mit Mord und Vergewaltigung gedroht worden, sie hat ihr Haus verlassen, aus Furcht vor Anschlägen. Ein anderes aktuelles Beispiel ist die Kulturwissenschaftlerin und Kritikerin Anite Sarkeesian, die einen öffentlichen Auftritt absagen musste, weil ein Amoklauf angedroht wurde. Und diese beiden Beispiele sind nur der Gipfel und traurige Höhepunkt der Vorkommnisse, die mit Gamergate in Zusammenhang gebracht werden.
Aber wer steckt hinter GamerGate? Worum geht es da eigentlich und was ist das Ziel?
Von außen betrachtet, handelt es sich dabei ganz klar um eine Belästigungskampagne mit dem Ziel all die Menschen – vor allem Frauen – aus der Spielebranche zu mobben, die sich für mehr Vielfalt, weniger Sexismus und kulturelle Debatten über Videospiele einsetzen.
Wenn man Gamergate-Verfechtern folgt, gibt es als Feigenblatt den angeblichen Kampf gegen Korruption im Spielejournalismus, festgemacht an meist haltlosen Vorwürfen gegen einzelne Entwickler und Journalisten.
Ein Beispiel dafür: Der Auslöser der Debatte war, dass ein Ex-Freund einer Spielerentwicklerin, dieser Vorwurf sich gute Bewertungen für ihr Spiel erschlafen zu haben. Dieser Vorwurf – das wurde auch sehr schnell bewiesen – ist völlig aus der Luft gegriffen, trotzdem wird er von GamerGate-Verfechtern immer noch als Grund und Rechtfertigung benutzt.
Ich habe mich mit Cameron Kunzelman unterhalten, einem US-amerikanischen Spieleentwickler, der versucht hat, sich mit Gamergate-Verfechtern zu unterhalten und ernsthaft auf diese Argumente einzugehen:
„And you can see in the exchanges that I had that there is no receptivness to that, that these arguments for them – the gamergaters – are fully formed it is a completely consistent worldview for them and they don’t recognize their own sort of contradictions and problems with that.“
Aber woher kommt diese verbohrte Weltsicht? Was bringt Menschen dazu, eine derart extreme Position einzunehmen?
Videospiele generell waren lange Zeit ein geschützter Identifikationsraum, vor allem für heranwachsende Jugendliche. Es war ebenfalls so, dass Kritik am Medium oft völlig ahnungslos, aber mit scharfen Worten geführt wurde, man erinnere sich nur an die Killerspiel-Debatte, bei der anhnugslose, aber lautstarke, einflussreiche Kritiker Verbote von Spielen forderten.
Dieser Identifikationsraum wird gerade aufgeweicht: Immer mehr Menschen spielen, fast jeder der ein Smartphone hat, ist auch ein Spieler – die Eigenschaft „Computerspieler sein“ ist kein Distinktionsmerkmal mehr. Andererseits sind die Spiele eben auch im Feuilleton, quasi der Hochkultur angekommen und sind dementsprechend fundierter kultureller, feministischer oder gesellschaftlicher Kritik ausgesetzt. Aber die Kernszene, die sich in Gamergate-Verfechtern manifestiert, hat nie gelernt damit umzugehen.
Man könnte also sagen: Das Medium Computerspiel ist in der Pubertät, was wir sehen sind Wachstumsschmerzen, die Betroffenen haben Angst und sind zornig, weil sie ihren Lebensraum bedroht sehen.
Diese pubertäre Rebellion „GamerGate“ läuft jetzt schon seit 2 Monaten – für ein Internetphänomen eine relativ lange Laufzeit, ist ein Ende abzusehen?
Es ist zu hoffen, denn mittlerweile wird die ganze Debatte auf beiden Seiten sehr extrem und scharf geführt. Eine Möglichkeit wie Gamergate enden könnte, skizziert Cameron Kunzelman:
„I think the worst case scenario is, that we end up with a complete culture split, a hard right conservative media that panders to that particular group and we have a sort of middle of the road seemingly progressive but not really progressive media that panders to your sort of neutral average viewer.“
Immerhin: Viele Menschen und auch Mainstreammedien werden mittlerweile auf GamerGate aufmerksam und beziehen deutlich dagegen Stellung – es gibt also auch Hoffnung, dass diese Internethasskampagne bald beendet sein wird.
Das Phänomen „Gamergate“ erklärt und bewertet von meinem Kollegen Marcus Richter, vielen Dank, wir halten Sie über die aktuellen Entwicklungen natürlich bei uns in der Sendung weiter auf dem Laufenden.
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Nachtrag: Nachdem ich auf Twitter den Beitrag angekündigt hatte, wurde ich in die erwartbare Diskussion, dass #GamerGate ja „mehr“ sei verwickelt. Argumente, warum das Label für jedwede sinnvolle Diskussion verbrannt ist, findet sich in den folgenden Links, die sich in meiner Timeline alleine in den zwei Stunden nach meinem Radioauftritt ansammelte:
- The Only Thing I Have To Say About Gamer Gate
- Felicia Day was doxxed for being afraid of GamerGate
- Kommentare #18 und #19 ebenda
- GamerGate-Scoreboard
- Why #Gamergaters Piss Me The F*** Off
- Chat logs show how 4chan users created #GamerGate controversy
Ich empfehle außerdem noch das Storify von Joe Köller, der ebenfalls versucht hat, mit Gamergatern eine sinnvolle Diskussion zu führen: A Conversation with GamerGate.
Meine Timeline empfiehlt sich außerdem mit folgenden Beiträgen ((Und war zu faul, selbst zu kommentieren. You know who you are… ^^)):
- There’s something happening here. Games-Kultur im Wandel?
- Social Justice Prevails? Die Folgen von #GamerGate.
Mitschnitt des Radiobeitrags (Moderation: Christine Watty):
Podcast: Play in new window | Download (Duration: 4:30 — 4.1MB)
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Bildnachweis: „Love And Hate“ von Daniela Hartmann (Lizenz: CC BY-NC-SA)
PS: Ich bin bis jetzt von größeren Shitstorms verschont geblieben, kündige aber vorsorglich an, dass ich Kommentare sehr streng moderieren werde, sollte sich das als notwendig erweisen.
André meint
Ich verstehe, dass man so ein Phänomen zumal für die Allgemeinheit in ein zugängliches Narrativ verpacken will, aber mir hat dieser Vergleich mit der Pubertät schon bei Superlevel nicht gefallen, als ihn jemand dort letztens aufbrachte. Ich halte ihn für irreführend. Menschen entwickeln sich (nicht nur während der Pubertät), die Spielekultur entwickelt sich. Da hören die Gemeinsamkeiten meiner Ansicht nach auch schon auf.
Die Metapher der Spieleszene in der Pubertät bricht auf mehreren Ebenen:
– Bei der Pubertät geht es um individuelle Entwicklung im unmittelbaren sozialen Umfeld, bei der Inhaltsdebatte rund um Computerspiele geht es aber darum, wie die Gesellschaft und bestimmte Ideen sich in ihnen abbilden. Der Vergleich mit einer Veränderung, die primär ein einzelnes Individuum in seinem eigenen sozialen Kontext durchmacht, ist schon deshalb unpraktikabel, weil der Kulturraum der Computerspiele von sehr vielen unterschiedlichen Akteuren mit unterschiedlichen Motivationen und Einstellungen aufgespannt wird.
– Das, was man im Moment an Computerspielen kritisiert, ist schon lange vorhanden, wenn auch einiges davon durch die heutige Produktionsqualität noch verschärft wurde. Mit Kritik am gelernten Status Quo muss man sich aber nicht nur innerhalb der Pubertät auseinandersetzen, sondern wann immer sie aufkommt.
– Der Vergleich bricht so auch da, wo man Computerspiele als „junges Medium“ beschreibt, dass eben erst ein „erwachsenes Medium“ werden muss. Dabei kann man viel von der Kritik an Computerspielen auch bei anderen Medien anbringen. Schaut man sich Blockbuster an, haben die häufig männliche Helden, Angehörige von Minderheiten bekommen nur Nebenrollen, die dargestellten Liebesbeziehungen sind im Wesentlichen heterosexuell usw. Spiele haben als Medium mit vormals starker und weiter vorhandener Unausgeglichenheit beim Geschlechterverhältnis der Konsumenten vielleicht diesbezüglich einige Besonderheiten, aber sie bewegen sich natürlich im gleichen gesamtkulturellen Umfeld wie die anderen Medien.
– Deshalb ist der Vergleich auch da besonders irreführend, wo Erwachsensein damit gleichgesetzt wird frei von den Fehlansichten im Sinne der Kritik zu sein. Also beispielsweise frei von Frauenfeindlichkeit zu sein. Die Implikation beim Vergleich mit der Pubertät ist ja, es wäre eine Phase, durch die man durch muss und dann ist es aber auch vorbei (es sei denn das Bild würde wesentlicher zynischer verwendet, als mein Eindruck ist). Nun gehen manche durch die Pubertät, kommen frauenfeindlich heraus und haben gerade mal die ersten Schritte in eine „Verbitterungskarriere“ gemacht. Aus heterosexueller, männlicher Sicht sind es vermutlich vorallem negative Beziehungserfahrungen bzw. scheiternde Beziehungsaufnahme, die Frauenfeindlichkeit verhärten, und die mehren sich möglicherweise mit den Jahren. Genauso gibt es Erwachsene, die in Vielfalt keinen Wert erkennen oder kein Problem in der Reproduktion einseitiger Feindbilder sehen, weil es zufälligerweise ihre eigenen sind. Erwachsensein ist sicherlich nicht der Endzustand, in dem sich alles zum Guten gewandt hat.
Jenseits dieser Metapher, sehe ich einen weiteren Punkt ebenfalls als problematisch an: Die Idee der „Kerngruppe“. Den Gamergate-Bewegten wird damit zugebilligt, dass sie die ursprüngliche Gamerschaft sind, die man aus Sicht der anderen Seite jetzt irgendwie zur Weiterentwicklung bringen muss. Aber du blickst doch auch auf eine längere Spielerkarriere zurück, zählst du nicht genauso zu dieser Kerngruppe wie viele andere, die sich gegen Gamergate aussprechen?
Kommen wir zur vorgestellten Analyse der Hintergründe. Nur um das festzuhalten, es braucht den Pubertätsvergleich dafür schlichtweg nicht. Ja, ein Teil der Leute, die intensiv spielen — welchen Anteil die haben, ist im Wesentlichen nicht zu bestimmen — sieht in Spielen Produkte, die primär für sie gemacht werden und hat kein Interesse an Inhalten, die sie als „Anbiederung“ an Spieler-Randgruppen sieht, oder an der „politisch korrekten“ Gestaltung von Spielen. Nur glaube ich nicht, dass das der Grund für Gamergate ist. Auch bei der Idee der gelernten Ablehnung von Kritik, weil diese in der Vergangenheit oft nicht fundiert war, habe ich dir ja schon damals bei Die Wahrheit 021 zugestimmt. Und als ich das erste Mal von Gamergate gehört hatte, habe ich genauso darauf verwiesen. Nur da war mir die Natur des Phänomens nicht wirklich bewusst. Gelernte Ablehnung bedingt eine gewisse Dünnhäutigkeit, ein schnelles Abtun oder Lächerlichmachen der Kritik und Ausblenden der Kritiker, aber eine über längere Zeit aufrechterhaltene Diffamierungskampagne erklärt es meiner Ansicht nach nicht.
Wohlgemerkt, ich glaube schon, dass Skepsis dagegen Spiele zu öffnen und zu politisieren und gelernte Ablehnung hier eine verstärkende Rolle gespielt haben. Beides führte vielleicht dazu, dass viele Leute zunächst den Gamergate-Anwürfen eine gewisse Sympathie entgegen gebracht haben, weil sie die Spielekritik für fehlgeleitet oder anmaßend halten. Das hat Gamergate möglicherweise erst über die Schwelle gehoben. Aber, der Zorn, der das Ganze eigentlich treibt, kommt aus meiner Sicht eindeutig aus den Konflikten rund um das Geschlechterverhältnis. Daran hat sich Gamergate ja wohl auch entzündet. Dazu kommt eine gut trainierte „Campaigning“-Fähigkeit. Bestimmte Internetsubkulturen habe das Recherchieren des Gegners, Hochfahren von Spamming und Organisieren von gezielter Verfolgung in etlichen großen und kleinen Internetschlachten einstudiert. Das läuft wie eine Maschine ab und muss nur angestoßen werden. Man sollte auch die Herkunft dieses Phänomens nicht vergessen. Der US-Kulturraum ist ziemlich kaputt, die Gesellschaft gespalten. Spiele werden dort vielleicht tatsächlich noch mehr als eine Domäne betrachtet, die frei von Zwängen durch bestimmte gesellschaftliche Konventionen ist, unter die auch feministische Vorstellungen eingeordnet werden.